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Rede zur Gedenkfeier 9.11.2019


Meine Damen und Herren, liebe Freunde des „Freundeskreises ehemalige Synagoge Affaltrach“!

Ich begrüße Sie ganz herzlich zu dem heutigen Gedenkabend. Wir sind heute hier, wie jedes Jahr, um der schrecklichen Ereignisse des 9. November 1938 zu gedenken. Die Synagoge in Affaltrach wurde ja nicht niedergebrannt, sondern nur von den Nazis aus Weinsberg und anderen umliegenden Dörfern geschändet. Das Eigentum der im Schulzimmer lebenden Familie Bogdanov wurde zerstört, die Familie bedroht und beschimpft. Es ist wie jedes Jahr, und doch ist dieses Jahr fast alles anders. Bisher wurde immer gerne das BrechtWort zitiert: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Man wußte aber nicht genau, was das bedeutet. Spätestens seit Halle weiß man das, kann man es sich vorstellen. Man wollte sich das aber nicht gerne vorstellen, was jetzt Realität ist. Ein kleines Anzeichen für die veränderte Lage ist auch, daß heute nachmittag die Polizei hier war, um den Schutz unserer Veranstaltung sicherzustellen. Ich denke, wir brauchen diesen Schutz nicht. Wer ihn braucht, sind, nach dem Beinahe-Massaker in Halle, die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden. Sie brauchen Schutz vor den Taten einer quicklebendigen rechtsterroristischen, rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Szene, zu deren Programm Morden gehört. Der Kern dieses Schutzes ist für mich, daß sich keine staatliche Stelle und keine Partei mit diesen Mördern und Hetzern und mit ihrem parlamentarischen Arm gemein macht, sondern im Gegenteil deren Taten konsequent und nach den bestehenden - ausreichenden - Gesetzen verfolgt. Das läßt bisher sehr zu wünschen übrig. Von dem mörderischen Netzwerk des NSU, des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, ist fast nichts aufgeklärt. Warum wurde gerade die Polizistin Michele Kiesewetter am 25. April 2007 getötet, was sind die Hintergründe, wer waren die Beteiligten? Alle wissen, daß da ein großer Schleier des Vertuschens darüber liegt. Warum ist der Mord an Halit Yozgat am 6. 4. 2006 in einem Café in Kassel im Beisein des VS-Agenten Andreas Temme bis heute nicht geklärt? Warum hat die hessische Landesregierung dem Beamten Aussageverbot erteilt? Wie kann es sein, daß die türkischstämmige Anwältin Seda Basay-Yildiz und ihre zweijährige Tochter im Sommer 2018 Morddrohungen erhielten an ihre Adresse, die von einem Computer im Frankfurter Polizeirevier stammte? Warum ermitteln so viele Staatsanwaltschaften in Sachsen, so viel Polizeidienststellen dort lieber gegen antifaschistische Demonstranten als gegen die offensichtlich rassistische gewaltbereite rechte Szene? Warum muß die Bundesanwaltschaft der Justiz in Sachsen Verfahren entziehen, damit diese rechtsstaatlich durchgeführt werden? Warum ist die Stadt Halle, und nicht nur diese, laut einem Bericht in der SZ mehr um ihren guten Ruf besorgt als um das Leben ihrer jüdischen Mitbürger? Der Fragenkatalog ließe sich endlos fortführen. Ich zitiere aus der SZ vom 11. Oktober 2019: „Aus gutem Grund nahmen Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden militante Linksextremisten oder gewaltbereite Islamisten ins Visier. Und ohne jede Rechtfertigung schauten sie nur selten und wenn, dann flüchtig nach rechts. Das erlaubte es dem NSU über Jahre, ungehindert zu morden. Das wiegte Rassisten in Sicherheit, die Menschen mit ausländischen Wurzeln oder Juden drangsalierten. Das ermutigte wahrscheinlich auch den Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und den Attentäter von Halle. Bestätigt, ja angefeuert gefühlt hat sich Stephan B. allerdings sicher nicht nur von anderen zum Terror bereiten, verdeckt agierenden Faschisten rund um den Globus. Bestätigt haben ihn wohl auch die Angst und Hass schürenden Worte mancher Politiker vor allem in der Flüchtlingsdebatte.“ Warum führe ich das alles an? In den Unterlagen des NSU wurden die Adressen von über 200 jüdischen Institutionen gefunden, gegen die Terroristen wohl früher oder später Anschläge ausgeführt hätten. Will man die jüdischen MitbürgerInnen wirklich und effektiv schützen - und glauben Sie mir, genau daran liegt uns -, dann ist es an der hohen Zeit, daß die Politik und die staatlichen Institutionen wie Justiz und Polizei einen Schwenk in ihrer Haltung machen und die rechtsterroristischen Taten, Vorhaben und Netzwerke restlos aufklären und verfolgen. Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat als mehr oder weniger einziger daran erinnert, welch gewaltige Maßnahmen Justiz und Staatsapparate seinerzeit gegen die RAF ergriffen haben, und sich gewundert, warum das nach Halle nicht genauso gegen die Rechtsterroristen erfolgt ist. Der Soziologe Max Horkheimer sagte einst: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll vom Faschismus schweigen“. Wir sagen: „Wer Rechtsterrorismus nicht konsequent aufklärt und die Täter verfolgt, der soll vom Schutz der Juden schweigen.“ Bekundungen des Entsetzens, Erklärung von Solidarität und Mitgefühl, Gedenkgottesdienste, Kranzniederlegungen, Mahnwachen und ähnliches sind wichtig. wenn auch ein bißchen wohlfeil. Nötig ist zu handeln. Die AfD hat zum Gedenken an Halle einen Kranz niedergelegt, nachdem sie zuvor auf Twitter die Terrortat als Inszenierung im thüringischen Wahlkampf verniedlicht hatte. Teilnehmer der Kundgebung haben aus der Schleife an dem Kranz den AfD-Namen herausgeschnitten. Die Polizei ermittelt gegen diese wegen Sachbeschädigung. Was soll man dazu sagen?

Ich danke Ihnen.

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